Mein ganz persönlicher Zeitgeist – ohne ISO-Norm
 
ISO 31 - © Alfred Rhomberg - Acryl

 

 

Ich wachte mit dem unangenehmen Gefühl auf, dass ein Geist, den ich noch nicht kannte, mir meinen Tag noch vor dem Frühstück verderben wollte. Auf meine Nachfrage, meinte er nur kurz, er sei mein persönlicher Zeitgeist. Bisher wusste ich nur, dass die Zeit unterschiedlich empfunden wird – immerhin wird sogar Albert Einstein der Satz zugeschrieben: „Es sei ein Unterschied, ob man eine Stunde mit einer hübschen Frau verbringt oder auf einer heißen Kochplatte sitzt“ (nicht ganz wörtlich zitiert). Gut – Zeit wird je nach Gelegenheit als unterschiedlich lang bzw. angenehm oder unangenehm empfunden - dass es auch personenbezogen unterschiedliche „Zeitgeiste“ gibt, war mir bis zu jenem Morgen nicht geläufig – aber es wird wohl stimmen!

 

Mein persönlicher Zeitgeist – sofern es diesen wirklich gibt – äußerte sich am heutigen Tag etwa wie folgt:

 

1). In den Morgennachrichten höre ich die ersten „Bad News“, die sich am Tag dann mehrmals wiederholten – positive Dinge scheint es nicht mehr zu geben – allerdings gilt für Journalisten bekanntlich sowie: „Only bad News are good News“ – also sollte ich die Nachrichten gar nicht anhören und auch ehemals gute Tageszeitungen nicht mehr lesen, weil für deren Journalisten die gleiche Grundregel gilt - d.h. ein paar Good News gibt es dort schon, die aber offenbar aus Schamgefühl an den Schluss der Zeitungen verbannt werden - die letzten Seiten, außer bei Lokalzeitungen, bei denen die Todesfälle am Schluss stehen, liest eh’ niemand.

 

2). Ich steige in den überfüllten Autobus, wo alle Schüler grundsätzlich alle Sitzplätze beanspruchen und ältere Leute (selbst mit Krücken) stehen müssen. Niemand (auch der Autobuslenker) kümmert sich um Niemanden – warum sollte man sich auch um jemanden kümmern, der ein „Niemand“ ist. Es sind allerdings oft jüngere Frauen oder Mädchen, die bedürftigen Menschen ihren Platz anbieten.

 

3). Eigentlich wollte ich etwas zum „Anziehen“ kaufen – die VerkäuferInnen sind freundlich – die Mode hässlich. In teuren Geschäften sind die Verkäuferinnen oft etwas weniger freundlich (gelegentlich arrogant) – die Mode ist teurer aber immer noch ziemlich hässlich (vielleicht gibt es in mediteranen Ländern gelegentlich noch etwas elegantere Mode). Aus den Geschäften kommend, sehe ich, dass frau/man das auch alles trägt – Zeitgeist!

 

Anm.: Langsam verstehe ich, dass es unterschiedliche Zeitgeiste gibt. Was den Umgang der Menschen untereinander betrifft war nicht nur mein persönlicher Zeitgeist in den Nachkriegsjahren anders (fast hätte ich „besser“ gesagt) – die Mode war auf jeden Fall gefälliger.

 

4). Ich gehen in einen großen Technik- und Haushaltssupermarkt und stelle fest, dass die Verkäufer der Technikabteilung weder den Begriff „Multimeter (einschließlich Ohmmeter), noch den Begriff „Impedanz“ bei Ein- und Ausgängen einer Stereoanlage kennen. Fast schäme ich mich, dass ich die armen Verkäuferseelen mit solchen an sich wichtigen Detailfragen belästigt und in Verlegenheit gebracht hatte – langsam beginne ich den modernen Zeitgeist zu verstehen!

 

5). Es gäbe so vieles zu bemängeln - positive Entwicklungen sind offenbar streng geheim, sodass sie nicht auffallen.

 

6). Es fällt auf, dass die meisten Menschen mit denen ich verkehre, das alles für normal oder sogar selbstverständlich halten – und deswegen werde ich meinen persönlichen Zeitgeist bitten, mich zumindest morgens (noch vor dem Frühstück) mit ISO-Normen in Ruhe zu lassen und damit meine offenbar etwas aufgeschlosseneren Mitmenschen heimzusuchen.

 

Auch ein Zeitgeist braucht Anerkennung - meine Anerkennung hat er derzeit jedenfalls nicht.

 

(28.9.2016, redigiert 2018)

 

 

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