Die Inflation der Innovation – eine Kritik

 

Verschiedene Transistoren als Einzelbauelemente, noch vor der Integration in Prozessoren mit stetig wachsender Speicherdichte - © Wikipedia. Public Domain

 

 

Nach dem österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter (1) ist Innovation die technische oder organisatorische Durchsetzung einer Neuerung im Produktionsprozess, jedoch gilt für Schumpeter die zu Grunde liegende Erfindung noch nicht als Innovation. Der Begriff Innovation wurde schon bald auch in der Geisteswissenschaft und Kultur verwendet, wobei nach künstlerischen Lösungen in der Kunst im Design und in der Architektur gesucht wird in denen der Begriff „Kreativität“ als Lust auf Erneuerung (Innovation) eine wesentliche Rolle spielt. Man sollte den Begriff der „Innovation“ nicht im Sinne Schumpeters einengen, sondern etwas genauer nachdenken, schon deswegen, weil der Innovationsbegriff heute überwiegend wissenschaftlich theoretisierend gebraucht wird und gerade dadurch verdeckt, dass wir heute eigentlich in einer relativ innovationsarmen Zeit leben.

 

In einer der ausgezeichneten Radiokollegsendungen des österreichischen Rundfundsenders OE1 sollte in einer vierteiligen Serie v. 21.10 bis 24.10.2013 unter dem Titel „Orte mit Ideen“ u.a. bewiesen werden, dass in einer bestimmten innovativen Umgebung Innovationskraft/Freude besonders gut gedeihen, ja – dass diese Umgebung sogar Voraussetzung für Innovation sei. In teils richtigen, teils überzogenen Behauptungen wurde in dieser Sendereihe konstatiert, dass die räumliche Umgebung (das Ambiente) unmittelbar und nachhaltig darauf einwirken, wie wir lernen, arbeiten und denken (Beispiele: Hörsaal, Klassenzimmer, Büro, Kaffeehaus). Es wurde über „Extended Cognition“ gesprochen, sowie über das Konzept des „Enabling Spaces“, das Innovationsexperten in einer Agentur Organisationen hilft, neuen Ideen Raum zu verleihen – „Das Neue wird nicht gemacht, ihm wird Platz gemacht und ein Ort geboten, an dem es entstehen kann“

„Learning Environments fordern den Bildungsbereich heraus (digitales Klasssenzimmer) und es wird von Bildungseinrichtungen des 21. Jahrhunderts als Orte einer neuen Lernkultur gesprochen.

 

Der Satz „Architekten bauen Arbeitsstätten für die Arbeit der Zukunft“ wurde mehr als optimistisch kommentiert, wobei sich der Eindruck aufdrängte, dass intelligente Menschen (Architekten), welche die Arbeitswelt nicht kennen für Vorstände und oberste Führungsschichten von Großkonzernen bauen, welche die Arbeitswelt gleichfalls nicht kennen.

 

In dieser Sendereihe wurde so viel von universitären Fakultäten, Agenturen, Startup-Unternehmen, die sich mit diesen Themen beschäftigen, gesprochen, dass sich die Frage erhebt, wie diese zahllosen Innovationsbegeisterten ihr Geld verdienen und ob sie wirklich wissen, über was sie sprechen und theoretisieren.

 

Neuerdings gilt das Forschungsinteresse zunehmend der Pfadabhängigkeit (path dependence) von Innovationsprozessen und deren Ergebnissen unter der Annahme, dass die Entwicklungsvergangenheit einer Organisation, eines Produktes, einer Technologie etc. künftige Entwicklungsmöglichkeiten und -vorgehensweisen beeinflusst und begrenzt („history matters“) wird. Hierzu werden später eigene Erfahrungen beschrieben.

 

Kritik der modernen Innovations-Begeisterung

 

Allein, dass der Begriff „Innovation“ heute so viel (und in allen Lebensbereichen) gebraucht wird, deutet auf eine alte Erfahrung hin, dass etwas das in aller Munde ist, eigentlich schon gar nicht mehr existiert, so wie unter anderem der Begriff „Kundendienst“ heute nicht mehr wirklich existiert, sondern als Dienst zumindest teuer bezahlt werden muss (siehe Anm.).

 

Anm.: Es gab einmal eine Zeit, als der Begriff Kundendienst noch nicht existierte, jedoch für Firmen so selbstverständlich (und kostenlos) war, dass er nicht verbal gebraucht werden musste. Heute sieht man im Straßenverkehr viele Autos mit der Aufschrift „Kundendienst“ Firma XY, dass man annehmen könnte, die Firma XY lebte nur von ihrem Kundendienst.

 

Nachstehend sollen einige Gedanken und eigene Erfahrungen aus einer fast 45-jährigen Berufswelt an der Universität und in verschiedenen Industriekonzernen beschrieben werden.

 

Innovationsfreude

 

Innovationsfreude/fähigkeit hängt nicht vom oben angesprochenen Ambiente ab – ausschlaggebend ist der „Geist“ der in einem Universitätsinstitut oder einer Industrieabteilung herrscht. Die ehemaligen Labors des MIT (Massachusetts Institute Of Technology) waren uralt und trotzdem wurden zu dieser Zeit bahnbrechende Entdeckungen der Chemie gemacht. Auch in den anfangs völlig veralteten Labors eines ehemals sehr bekannten Pharmakonzerns in Mannheim wurden zur Zeit meines Eintritts in die Pharmaforschung (1966) die erfolgreichsten Medikamente der Firma entwickelt. Das damals beste Breitbandsulfonamid Madribon® (Roche) wurde im alten Chemischen Institut der Universität Innsbruck in Labors entwickelt, die aus heutiger Sicht „schrecklich“ waren.

 

Wie entsteht der „Geist“ in einer Forschungsabteilung? Ausschließlich durch charistmatische Universitätsprofessoren oder Forschungs/Abteilungsleiter, die ihr Charisma vermutlich wiederum durch charismatische Lehrer erworben haben, jedoch sind nicht alle Personen geeignet, „charismatisch“ zu wirken. Wesentliche Eigenschaften charismatischer Menschen sind, dass Emotionen von ihnen sehr stark empfunden und auch weitergegeben werden können. Außerdem sind sie resistent gegenüber Einflüssen anderer "charismatischer" Menschen - was ihnen oft als Intoleranz oder Egoismus ausgelegt wird.

 

Was verstehen wir heute unter Innovation?

 

Im Gegensatz zu echten (bahnbrechenden) Innovationen (2), gibt es heute fast ausschließlich nur Verbesserungen bereits vorhandener Produkte nach dem Schema: aus Smartphone 4 mach Smartphone 4 PLUS oder 5. Ob das von Architekten eingeforderte „Ambiente“ hierfür erforderlich ist, bleibt fraglich.

 

Wer die Versandkataloge, die täglich in Haus flattern durchblättert, findet eine repräsentative Produktpalette „innovativer Bodylotions“ oder „(un)nützlicher“ Artikel für Küche und Garten – Produkte, für die der Begriff „Innovation“ zu hoch gegriffen wäre.

 

Aus der eingangs erwähnten ursprünglichen Lust auf Innovation im Sinne von Kreativität ist nicht viel geblieben – auch hier gilt die Feststellung: Wenn etwas in aller Munde ist, existiert es meist schon nicht mehr.

 

Neufassung 24.9.2016 (Erstfassung 7.5.2014)

 

 

 

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